short stories: Ein Parkplatz in Berlin

Nach der Vorstellung fuhr Laurenz sie nach Hause. Ihre Stimme und seine Musik füllten noch die Luft. Bei einer roten Ampelphase traf seine Hand kurz ihre. Sie lächelte zufrieden. Genauso hatte sie sich das vorgestellt, während der unzähligen Stunden, die sie im Bett neben Pedro verbracht hatte, ohne einschlafen zu können. Nun war Pedro eine Woche verreist, eigentlich galt das nicht als Reise, wenn er nach Madrid, d.h. nach Hause zu seiner kranken Mutter, flog. Die Mutter war eine seiner Sorgen, die andere hieß Gott, deswegen war er immer so müde, wenn er sich abends ins Bett legte.

Tagsüber erzählte er ihr von der Mutter und davon, dass sie ihr ganzes Leben so hart gearbeitet habe, damit er Theologie studieren könne; Auch das Fach habe sie gewählt, denn das Studium des Göttlichen würde seinen Leib und seine Seele vor dem Bösen bewahren. Krank wurde sie nachdem er ein Stipendium an der Freien Universität Berlin gewonnen hatte und von Madrid wegzog.

An der FU, bei einer Vorlesung über Aristoteles und die Tugenden, als sie sich eine Notiz machen wollte darüber, dass der gute Mensch zwar Gefühle haben dürfte, allerdings sollte er sie beherrschen lernen, fiel ihr Blick das erste Mal auf Pedro. Beim Mittagessen  sah sie ihn in der Mensa, später traf sie ihn in der Bibliothek und von da an war er ständig in ihrer Nähe. 

Er war ruhig und ernst, sie mochte ihn. In Palermo, ihre Heimatstadt, waren die Leute fröhlich und lachten laut. Sein Flüstern regte sie an.

Als sie am Anfang vom Wintersemester aus dem Studentenwohnheim ausziehen musste, bot er ihr an, seine Zweizimmerwohnung mit ihm zu teilen.  Nachdem sie zugesagt hatte, schleppte er noch am gleichen Tag ihre Sachen zu ihm hoch. Zum Abendessen servierte er Paella an dem festlich gedeckten kleinen Küchentisch. Während sie aß, sah sich etwas um: Hell und warm war der Raum, und niedlich der kleine Betstuhl aus dunklen Holz. Als sie sich in das frisch bezogene Bett legte, starrte sie erst in die fremde Dunkelheit. Aber bald tröstete und wärmte er sie, und sie ließ seine leise Leidenschaft bis ins Innerste dringen.

Tagsüber arbeitete Pedro noch gewissenhafter an seinem Werk, nachts wurde er immer zärtlicher und leiser. Ein Zittern des Körpers verriet ihr seine Lust und wenn er sie streichelte, erkannte er ihre. Manchmal dachte sie, er atmete gar nicht, dabei hielt er nur den Atem an, aus Angst, das Glück würde verfliegen.

Bis seine Mutter von ihr erfuhr und dass sie in Sünden lebten, und davon richtig krank wurde. Die Sorge um Pedro und die Angst vor Gott ließen ihren Zustand rasch verschlimmern. Ihr täglicher Anruf kam bei Anbruch der Dämmerung und lärmte viel, danach verfinsterte sich der Abend und schauderte die Lust.

Pedro wurde ernster und arbeitsamer; sein Stipendium würde im Sommer auslaufen, die Forschungsarbeit sollte beendet werden.

Eines Dienstags, als sie wie immer im Chor sang, hörte sie deutlich das Fagott spielen und ihr Blick fiel auf den neuen Fagottspieler; wie er spielte, gefiel ihr.

Nun freute sie sich jede Woche darauf, das Fagott spielen zu hören, und nach seiner Musik ihre Stimme zu modulieren.

Pedro kochte, forschte, und telefonierte mit seiner Mutter weiter.

Nachts lag die Mutter zwischen ihnen, tagsüber kniete sie auf dem Betstuhl.

Als der Zustand seiner Mutter ernst wurde, flog er für eine Woche nach Madrid zu ihr.

Sie ging am Dienstag  zum Chor und sang zum Fagott die feinsten Töne; Es klang, als ob er nur für sie es spielen würde. 

Als die Probe zu Ende war, polierte er lange sein Instrument, und zwar so lange, bis sie an ihm vorbei lief. Sie war noch dabei, den Mantel zu zuknöpfen, als er ihr anbot, sie irgendwohin zu fahren. Sie nannte ihm ihre Adresse und fügte hinzu, dass sie in Kreuzberg, in der Nähe des Yorckschlösschen wohnte.

Bald würden sie ankommen.

Sollte sie ihm einen Portwein anbieten? Sie war ohnehin in Sünden geraten, was würde eine weitere Sünde schon ausmachen? Und was, wenn Pedros Mutter immer noch auf dem Betstuhl saß?

Als Laurenz in die Yorkstrasse einbog, fragte er, ob sie etwas trinken wollte. Sie pries ihm den Portwein an. So beschlossen sie, zu ihr zu gehen. Nun fuhr er langsam und schaute aufmerksam nach einen Parkplatz. Die Yorkstrasse, die Großbeerenstrasse, die Hornstrasse, alle fuhr er rauf und runter aber ein Parkplatz war nicht in Sicht. Er versuchte vergeblich, auf eine Kante vom Bürgersteig herauf zu fahren und blieb eine Weile stehen, dann fuhr er noch einige Male ums Karree, aber von einem Parkplatz war keine Spur.

„Mit einem Parkplatz ist hier nichts zu machen, ich werde doch lieber nach Hause fahren, scheint ein Zeichen Gottes zu sein!“

Sie lachte. Als sie die Wohnung alleine betrat, lachte sie noch. Am nächsten Morgen weckte sie ihr schallender Lacher. An der FU angekommen, riss sie ein Blatt aus ihrem Heft und schrieb eine Anzeige:

„Fröhliche Studentin sucht Zimmer in lauten WG “.

Es war bereits Mittwoch, sie hatte bloß vier Tage Zeit!

 

 

Clara Mavellia

Berlin, 31.01.09

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